Prof. Dr. Henning Klodt

Essay


 

Donald Trump: Lautsprecher eines schrumpfenden Giganten

Im Reisegepäck nach Davos hatte Donald Trump neue Zölle gegen China und Südkorea, die manche Beobachter als erneuten Beleg für seine irrationale und sprunghafte Politik interpretieren. Doch wirklich überraschen können die protektionistischen Neigungen des neuen US-Präsidenten nicht. Im März 1990 gab Trump dem Playboy ein Interview und antwortete auf die Frage, was seine erste Maßnahme als US-Präsident sein würde: „I’d throw a tax on every Mercedes-Benz rolling into this country.” Von Sprunghaftigkeit, die Trump gelegentlich unterstellt wird, kann also zumindest im Bereich der Handelspolitik keine Rede sein.

Neu ist vor allem der marktschreierische und ruppige Umgangston, mit dem Trump sich deutlich unterscheidet von seinen Amtsvorgängern, die er allesamt dem von ihm verachteten politischen Establishment zurechnet. Die Grundlinien seiner tatsächlich praktizierten Politik dagegen unterscheiden sich weit weniger drastisch von denen seiner Vorgänger. Der Grundtenor lautet unverkennbar, dass sich die Vereinigten Staaten von Amerika zurückziehen aus ihrer Rolle als Weltpolizist und als Garant einer Pax Americana – sowohl im handels- als auch und gerade im sicherheitspolitischen Bereich. Diese veränderte Strategie folgt durchaus einer inneren Logik, die mit dem Bild des Schrumpfenden Giganten plastisch beschrieben werden kann.

Der schrumpfende Gigant

Das Bild des schrumpfenden Giganten wurde von Jagdish Bhagwati bereits im Jahr 1993 entwickelt, ist aber heute weitgehend aus der Literatur verschwunden. Bhagwati ging zunächst einmal von der Beobachtung aus, dass sämtliche neun erfolgreichen GATT-Runden – angefangen mit der Genfer Runde (1947) über die Kennedy-Runde (1964–1967) bis hin zur Uruguay-Runde (1986–1994) – von den USA initiiert worden waren. Die Erklärung dafür liegt seines Erachtens nicht nur in der ausgeprägten Freiheitsliebe der Amerikaner, sondern vor allem in ihrer damaligen weltwirtschaftlichen Dominanz: Wenn Freihandel – wie von der ökonomischen Theorie postuliert – allen beteiligten Ländern Vorteile bringt, dann kann das größte dieser Länder auch den größten Anteil der Vorteile erzielen. Die positiven Externalitäten, die Trittbrettfahrer-Ländern zufließen, fallen demgegenüber weniger ins Gewicht. Der weltwirtschaftliche Gigant wird sich demnach im eigenen Interesse für multilateralen Freihandel einsetzen.

Der amerikanische Gigant ist aber längst kein Gigant mehr. Der Anteil der USA am weltweiten Bruttoinlandsprodukt ist von über vierzig Prozent im Jahr 1960 auf weniger als fünfundzwanzig Prozent im Jahr 2016 zurückgegangen. Deutlich ausgeprägter noch war der Rückgang an der weltweiten Industrieproduktion, die für den Welthandel die relevantere Größe darstellt. Dementsprechend haben die USA weitgehend ihr Interesse daran verloren, sich für eine Pax Americana im Welthandel zu engagieren. Nicht erst seit Trump, sondern schon seit den 1990er Jahren haben sich die USA aus dem Multilateralismus zurückgezogen. Aber der letzte dieser Nach dieser Sichtweise kann es kaum überraschen, dass die letzten greifbaren Erfolge der WTO (bzw. der Vorgängerinstitution GATT) mit dem Abschluss der Uruguay-Runde im Jahr 1994 schon mehr als zwei Jahrzehnte zurückliegen. Fortgeführt werden sollte die Erfolgsgeschichte der WTO in der sogenannten Doha-Runde, die im Jahr 2001 gestartet wurde und die bis heute ergebnislos geblieben ist. Kaum noch jemand rechnet damit, dass die DOHA-Runde jemals zu einem erfolgreichen Abschluss kommen könnte. Der Multilateralismus ist also nicht erst dem neuen US-Präsidenten zum Opfer gefallen.

Manchem mag das Stocken der Globalisierung gerade recht kommen, da sie ihnen als Hauptursache der Vertiefung sozialer Gräben und der Verflachung kultureller Vielfalt gilt. Anderen dagegen, die in der Tradition von Adam Smith die Arbeitsteilung als wichtigste Quelle allen Wohlstands sehen, bereitet diese Entwicklung wenig Freude. Sie halten besorgt danach Ausschau, woher die internationale Arbeitsteilung neuen Schwung beziehen könnte. Der neue US-Präsident steht dafür jedenfalls offenkundig nicht zur Verfügung. Und die EU wird heute und vermutlich auch künftig nicht die politische Kraft aufbringen, in die Bresche zu springen.

Merkantilistische Denkfehler

Doch zurück zu den eingangs erwähnten Importzöllen: Mit ihnen werden Importe von Solarpanelen, die vorwiegend aus China kommen, mit einem Zoll von 30 % belegt. Und für Waschmaschinen, die vorwiegend von den südkoreanischen Konzernen Samsung und LG in die Vereinigten Staaten exporteiert werden, gilt künftig ein Importzoll von 50 %. Da war es wie Balsam für die Beobachter des gerade zu Ende gegangenen 48. Weltwirtschaftsforums von Davos, wie Bundeskanzlerin Angela Merkel in ihrer Rede die Fahne des Multilateralismus hochhielt. Europa werde sich nachdrücklich gegen jegliche Versuche stellen, die Prinzipien des freien Handels aufzugeben und im Sumpf nationaler protektionistischer Handelspolitiken versinken zu lassen.

In China mag man sich ob dieser Rede verwundert die Augen gerieben gaben. Denn die EU selbst hatte über Jahre hinweg mit einer Kombination aus Mindestpreisen und Strafzöllen einen faktischen Außenschutz von 47,7 % gegen chinesische Solarpanele aufrechterhalten. Noch heute werden insgesamt 53 Produkte aus China mit Strafzöllen belegt, angefangen bei Stahlerzeugnissen (22 % – 91 %) über Lebensmittel und Lebensmittelzusätze (35 % – 126 %; letzterer gilt für Süßstoff, bei dem der zum Celanese-Konzern gehörende Frankfurter Hersteller Nutrinova um seine monopolähnliche Weltmarktposition fürchtete) bis hin zu chemischen Produkten (22 % – 72 %). Besonders schutzwürdig erscheinen der EU auch Bügelbretter, für die ein Zoll von 42 % gilt, wenn sie aus China kommen. Nicht zu vergessen schließlich das europäische Trachtenleder, das mit einem Zoll von 59 % gegen Billigimporte aus China geschützt ist. Im Vergleich zur Handelspolitik der EU nimmt sich die Politik der US-Administration geradezu freihändlerisch aus – aller Davoser Rhetorik zum Trotz.

Im Glashaus sitzt die EU auch bei der Handelspolitik im Automobilbereich. Trump hat ja wiederholt öffentlich beklagt, dass auf der Fifth Avenue vor jedem Haus ein Mercedes Benz stehe, aber kaum ein einziger Chevrolet in deutschen Metropolen zu sehen sei. Dabei hätte er durchaus die Möglichkeit, mit dem Finger auf die EU-Handelspolitik zu zeigen. Er hätte darauf hinweisen können, dass die EU auf importierte PKWs einen Einfuhrzoll von 10 Prozent erhebt, die USA dagegen nur einen Zoll von 2,5 Prozent. Und die in Amerika so beliebten Pickups werden von der EU gar als LKWs eingestuft und demzufolge mit einem Einfuhrzoll von 22 Prozent belegt. Angesichts der hohen EU-Zölle auf amerikanische Pickups (die den meisten US-Amerikanern und auch immer mehr Europäern eher als besonders große PKWs denn als LKWs erscheinen) gewinnt man den Eindruck, dass die in Europa über den Trump-Protektionismus vergossenen Tränen einen deutlichen Schuss Krokodilstränen enthalten.

Einen gravierenden Denkfehler begeht Trump allerdings, wenn er glaubt, mit Schutzzöllen verlorengegangene Arbeitsplätze in die USA zurückholen zu können. Gegen diese merkantilistischen Vorstellungen spricht nicht nur die ökonomische Theorie, sondern auch alle praktische Erfahrung. In Deutschland wurde über Jahrzehnte vergeblich versucht, mit Reederbeihilfen, mit strikten Importquoten für Steinkohle und mit Kohlepfenningen den Arbeitsplatzschwund in Schiffbau und Bergbau zu verhindern; in Großbritannien war es die Automobilindustrie, die trotz Subventionen und local content-Regelungen immer bedeutungsloser wurde; in Frankreich stemmt sich die Politik bis heute erfolglos mit Protektionsmaßnahmen gegen das Schrumpfen der heimischen Filmproduktion. Wenn jetzt die USA drastische Einfuhrzölle auf PKW-Importe erheben würde, dann würden sicherlich viele Arbeitsplätze in Mexiko und auch manche in Deutschland verlorengehen, aber nicht an amerikanische Industriearbeiter, sondern bestenfalls an amerikanische Industrieroboter.

Auf längere Sicht wäre es vor allem die amerikanische Automobilindustrie selbst, die den Schaden hätte. Sie ist derzeit – wie die Automobilindustrie in allen anderen Ländern auch – eingebunden in ein globales Wertschöpfungsnetzwerk von Zulieferern. Wenn die Protektionspolitik die US-Hersteller von diesem Netzwerk abschneiden würde, könnten diese vermutlich weder ihre Preise noch ihre Qualitätsstandards halten. Und es würde ihnen der Wettbewerbsdruck fehlen, ohne den Effizienz und internationale Konkurrenzfähigkeit der US-Automobilindustrie schleichend erodieren könnten. Dann wären die „Vergessenen“, die dann nicht nur keine Jobs, sondern auch keine bezahlbaren Autos mehr hätten, endgültig die Verlierer.